www.Harumi-Michelle.de

  

Mein Leben

 

 

mit 5 Jahren

Teil 1

Vorwort

Es interessiert nicht, was Menschen von Transsexuellen halten, wenn man spürt, dass man den Weg gehen muss, ist man dazu auch in der Lage. Ich bin den Weg des Identitätswechsels gegangen, wurde von Harald zu Harumi Michelle. Mein männlicher Körper ist dem einer Frau angeglichen. 2 ½ Jahre hat es vom ersten Besuch beim Facharzt für Psychiatrie, erforderlich für die Begleitung der Transformation, bis zur letzten von insgesamt bei mir 6 Operationen (genitale Angleichung, Verweiblichung des Gesichtes, Brustaufbau, Korrekturen an Bauch und Taille) gedauert.

Jeder transidente Mensch geht seinen eigenen, ganz persönlichen Weg, wobei es auch Gemeinsamkeiten gibt. Der Startpunkt ist bei allen gleich, die vorgeburtliche Prägung und das Ziel bei den meisten Betroffenen die volle geschlechtliche Angleichung.

Ich lebe heute akzeptiert im privaten und gesellschaftlichen Leben. Nach anfänglichen Problemen, war das auch im zurückliegenden beruflichen Leben so. Jahrelange Träume wurden Realität. Was ich anfangs für unmöglich gehalten hatte wurde wahr. Ich habe nichts bereut.

Meine bisherige Lebensgeschichte musste neu gewertet werden, viele Eigenarten, Empfindungen, Erlebnisse u.a. waren aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und bekamen dadurch eine andere Wertigkeit.

Vielleicht wäre ich schon früher den Weg der Transformation gegangen, einiges wäre mir vielleicht sogar erspart geblieben, anderes wäre komplizierter geworden, Gesetze und die Medizintechnik waren noch nicht so weit.

Fast 50 Jahre meines bisherigen Lebens hatte ich versucht, mich als Harald mit der mir zugewiesenen Geschlechtsrolle zu arrangieren, habe aber auch nach meinem wahren Selbst gesucht. Ich wusste immer, ich bin anders und suchte nach einem Lebenskonzept, bei dem ich spüren konnte, glücklich zu sein. Erfolg macht aber nur ein kurzes Stück glücklich, bis dann wieder die Gefühle offenbaren, es fehlt etwas Entscheidendes im Leben.

Mein Leben in der Rolle des Mannes bleibt trotzdem ein Bestandteil meines Lebens, denn als Harald hatte ich ja auch schöne Zeiten erlebt und meine Persönlichkeit hat sich trotz der zwei Identitäten nicht geändert. Ich blicke heute stolz auf meine Lebenserfahrung zurück. Sie hat mich stark gemacht, sie befähigt mich, aufrecht und selbstbewusst zu meiner wahren Identität zu stehen. 

 

Fast 50 Jahre war ich Harald

Meine Kindheit verbrachte ich in einem nach meinem Dafürhalten glücklichen Elternhaus. Von den Problemen meiner Eltern mit der privaten Tischlerei und der verordneten Zwangskollektivierung durch die politische Führung habe ich nichts mitbekommen. Letztendlich hat mein Vater dem Druck nachgegeben und ist in eine PGH (Produktionsgenossenschaft des Handwerks) eingetreten.


Aufnahme Dezember 1957
Geboren wurde ich an einem Sonntag im März 1957. So weit ich mich noch erinnern kann, wurde ich wohlbehütet erzogen und hatte eine glückliche Kindheit. Wir wohnten damals in der Brandenburger Bahnhofsvorstadt in einem Hinterhaus.

Das Grundstück wurde um 1900 bebaut und die baulichen Gegebenheiten entsprachen nahezu dem Ursprungszustand. Die Wohnqualität bot keinerlei Komfort.

Trotzdem gab es bei uns auch etwas Luxus. Meine Eltern hatten schon in den 1950er Jahren einen Fernseher und wir hatten durch die Werkstatt meines Vaters ein Telefon, damals fast wie Goldstaub.


Aufnahme April 1959
Im Vorderhaus wohnte mein gleichaltriger Freund Bernd, mit dem ich auf dem geräumigen Hof mit einer alten Bäckerei und der Tischlerei viele interessante Spielmöglichkeiten fand. Und dann war da ja auch noch der riesige allerdings verwilderte Garten meiner Tante, der das gesamte Anwesen gehörte. Auf der Straße durfte ich nicht spielen, meine Mutter hatte mir das verboten. Es gab aber auch keinen Anlass auf der Straße zu spielen, da waren kaum Möglichkeiten und der Hof bot genügend Abwechslung. Wir wussten uns damals immer irgendwie zu beschäftigen.

Ein älterer Herr, Willy H., wohnte mit seiner Frau Friedel im Vorderhaus. Sie waren wie Onkel und Tante für mich. Er arbeitete bis zur Rente im Bahnbetriebswerk auf dem nahen Hauptbahnhof. Dorthin hatte er mich oft mitgenommen, wenn er seine alten Kollegen auf dem Bahnhof besuchte. Das war immer ein Erlebnis und hat vielleicht bei mir auch die Liebe zur Eisenbahn geweckt.

Im Alter von 5 Jahren bekam ich dann zu Weihnachten eine Modelleisenbahn, die in meinem weiteren Leben für mein Hobby prägend sein sollte. Mein Arrangement dafür und für den Verein, in dem ich ab dem 14. Lebensjahr Mitglied war, füllte meine Freizeit umfassend aus. Die Eisenbahn sollte später auch mein berufliches Leben bestimmen.

Geschwister hatte ich keine und so beschränkte sich der Kreis meiner Bezugspersonen neben meinen Eltern hauptsächlich auf die Bewohner des Hauses und die Verwandtschaft. Zu anderen Kindern gab es bis zur Einschulung 1963 relativ wenig Kontakt. Mein Kindergartenbesuch fällt nicht sonderlich ins Gewicht. Ich fühlte mich da nicht gerade wohl und war auch die meiste Zeit krank, weshalb mich meine Eltern dort bald wieder abmeldeten.

Die damaligen Verhältnisse waren einfach und mit heute nicht vergleichbar. Aber auch in der DDR entwickelte sich das Leben weiter. Ende 1964 zogen wir von der Brandenburger Bahnhofsvorstadt ins Neubaugebiet Brandenburg Nord. Durch den Umzug nach Brandenburg Nord änderte sich vieles grundlegend. Hier gab es das relativ enge Umfeld nicht mehr. Brandenburg Nord war ein sehr junger Stadtteil mit vielen jungen Familien. Recht großzügig mit viel Freiflächen zwischen den Wohnblöcken angelegt, bevölkerten viele Kinder die Gegend. So hatte auch ich schon bald Freundschaften geschlossen, bzw. man kannte sich sehr gut. Es waren Freundschaften, wie Freundschaften unter Kindern so sind.

In der Schule war ich dagegen eher meist ein Außenseiter unter den Jungs. Ich fühlte mich mehr zu den Mädchen hingezogen. Wir haben uns da über alles Mögliche unterhalten. In ihrer Gegenwart fühlte ich mich auch akzeptierter. Die Interessen der gleichaltrigen Jungs hatten mich nicht sonderlich begeistert, schon gar nicht das Fußballspielen. Insgesamt war ich eher ein stiller und ruhiger Typ. Das führte dann auch dazu, dass meine Klassenlehrerin meinen Eltern empfahl, mich beispielsweise in einem Verein anzumelden, damit ich in meiner Freizeit auch was "Vernünftiges" mache.

Mit Erreichen der etwa 5./6. Klasse hatte ich wie die meisten anderen Gleichaltrigen eine feste und vor allem liebe Freundin. Wohl auch nichts besonderes, denn viele hatten da schon eine engere Freundschaft.

Innere Gefühle und Träume in Richtung Trans* waren zu dieser Zeit noch nicht gefestigt und ich behielt sie für mich. Keiner sollte merken, dass mit mir eventuell etwas nicht stimmen könnte und ich vielleicht krank sei. Sogar meinen Eltern habe ich mich nicht offenbart.

Vor einiger Zeit hatte ich ein längeres Gespräch mit einer Tante von mir. Sie kennt mich etwa seit Beginn meiner Schulzeit. Wir haben über lange vergangene Zeiten gesprochen und mir ist dabei wieder viel von damals eingefallen. Sie erzählte mir, dass ihr unter dem Gesichtspunkt meiner Transsexualität so einige Verhaltensweisen nun recht verständlich erscheinen. Auch meine Oma hatte so etwa mit Beginn meiner Pubertät damals festgestellt, dass ich ähnlich wie ein Mädchen im gleichen Alter zickig wäre. Auch beim Spielen hätte ich möglichst darauf geachtet, mich nicht übermäßig schmutzig zu machen wie die Jungen. Das war übrigens die ganzen Jahre so.

Nach dem erfolgreichen Abschluss der Schule mit der 10. Klasse begann ich eine Lehre bei der Deutschen Reichsbahn in Halle/Saale. Ursprünglich wollte ich Geologe werden. Am damaligen Geologischen Institut in der Invalidenstraße in Ostberlin hätte ich eine Lehrstelle bekommen können, aber das scheiterte an der fehlenden Unterbringungsmöglichkeit in einem Wohnheim. In Halle/Saale hatte die Reichsbahn gleich neben der Berufsschule ein eigenes Wohnheim, wo ich mit den anderen Lehrlingen untergebracht war. Hier waren die männlichen Jugendlichen fast unter sich, begründet in der hauptsächlich männlichen Berufsausrichtung. Nach Abschluss der 3-jährigen Berufsausbildung hatte ich meinen Facharbeiter und das Abitur in der Tasche. In der DDR gab es die Möglichkeit der Berufsausbildung mit Abitur. Ich bin dann nach Guben, damals Wilhelm-Pieck-Stadt Guben, in einen Betrieb ebenfalls der Deutschen Reichsbahn gewechselt. Diesen Betrieb kannte ich bereits durch die Lehrausbildung im 3. Lehrjahr. Hier blieb ich bis zum Einzug im gleichen Jahr zum Wehrdienst bzw. Wehrersatzdienst bei der Bereitschaftspolizei in Basdorf bei Berlin.

während der Lehre 1974, 17 Jahre

In der Lehre, aber hauptsächlich während des Wehrdienstes zweifelte ich schon öfter an meinem Körper, er war nicht so typisch männlich kräftig ausgebildet wie bei den anderen. Er war etwas zierlicher, ich wog bei meinen damals 184 cm Größe gerade mal 65 kg, was dann speziell in der Wehrdienstzeit schon öfter zu Hänseleien führte. Meist hatte ich, auch bei der größten Hitze, immer ein Hemd an, um meinen Körper möglichst nicht direkt zu zeigen. 

An die Wehrdienstzeit selbst habe ich keine so guten Erinnerungen. Es war eine Zeit, die nicht mein Ding war, aber man sollte sie doch mitgemacht haben. Das Erlebte formt den Menschen und ist sehr hilfreich bei der Behauptung im späteren Leben.

Während der Wehrdienstzeit verstarb meine Mutter nach längerer Krankheit.

Nach dem Wehrersatzdienst bin ich wieder in meinen Betrieb bei der Bahn nach Guben zurück gegangen, kam dort auch wieder zum gleichen Maschinenkomplex wie vorher, nur in der Gegenschicht. Gearbeitet wurde, wie hier damals üblich, im wöchentlichen Wechsel auf Montage. Hier hatte ich schnell für alle 3 Maschinen die Bedienungsberechtigung und bald auch den Triebfahrzeugführer für Gleisbaumaschinen.

Vom Oberbauwerk Guben wurde ich Ende der 1970er Jahre zum Studium an die Verkehrshochschule in Dresden delegiert. Die Studienzeit war eine schöne Zeit für mich, in Dresden hatte ich mich sehr wohl gefühlt.

Nach meiner Dresdener Zeit arbeitete ich ein Jahr zu Hause in Brandenburg bei einer Bahndienststelle auf dem Bahnhof. Dieses Jahr war eigentlich ein Lodderjahr, teilweise recht niveaulos. Danach kam mein Leben wieder in geregeltere Bahnen. Ich hatte mich wieder in meinem alten Betrieb in Guben beworben und bin dann auch dahin zurück gegangen.

Mein Vater hatte nach dem frühen Tot meiner Mutter wieder geheiratet und wie mir seine zweite Frau später erzählte, hat er sich öfter Gedanken über mich und mein Verhalten gemacht. Nur konnte er wohl die Wahrheit nicht deuten und hatte darüber gegrübelt, das machte ihn nachdenklich. Wenn ich ihm auf seine Fragen sagte, dass ich mich mit Modellbahn oder Eisenbahn oder so befasst habe, dann war es für ihn in Ordnung. Einmal ist mir zu Hause im Bücherregal ein Buch aufgefallen. Es handelte von sexueller Aufklärung. Da war plötzlich ein Lesezeichen drin bei dem Abschnitt "Was ist pervers?" Schnabels Buch, in der DDR Kultlektüre, zur sexuellen Aufklärung "Mann und Frau intim" bezeichnete solche Menschen wie mich nach dem damaligen Stand der allgemeinen Psychologie des Menschen immer noch als krank. Nach damaliger Lesart stimmte etwas nicht und das musste ich keinem auf die Nase binden. Ich versuchte möglichst so männlich zu sein, wie alle anderen Männer auch. Heute weiß ich, warum mich das auch oft vor seelische Probleme stellte.  

Um 1983/1984 kam mir eine Frau näher, die ich eigentlich schon lange kannte, es war die Ehefrau meines damals besten Freundes. Der Funke sprang über, ich hatte Schmetterlinge im Bauch.

Nicht mal ein Jahr dauerte die Liebe zwischen uns. Sexuell ist bis auf Schmusen nichts gelaufen. Sie meinte dazu, ich sein noch sehr unerfahren: "Du bist ja noch so 'unschuldig'!"

Während dieser Zeit habe ich sehr viel gelesen, hauptsächlich Erzählungen aus dem Leben und von der Suche nach persönlichem Glück. Gefunden hatte ich es nicht, ich hatte mich ja noch nicht mal selbst gefunden.

Wir haben uns dann einvernehmlich getrennt und die Freundschaft mit ihrem Mann war auch dahin.

Einige Monate später hatte eine Tante von mir in "Zusammenarbeit" mit einer Gartennachbarin unabhängig vom Vorgeschehen für mich ein Treffen arrangiert, bei dem ich meine heutige Ehefrau/Ehepartnerin kennenlernen sollte. Ich weiß nicht, ob dies Schicksal oder Bestimmung war. Jedenfalls sind wir bereits nach wenigen Treffen zusammengezogen, auch weil ich mich in der elterlichen Wohnung eher "im Wege" fühlte.

Wir beide, um die 30 Jahre alt, hatten so jeder seine eigene Meinung vom Leben. Da flogen schon mal die Fetzen. Nach fast genau einem Jahr, im Jahr 1986, haben wir dann doch geheiratet und sind sogar heute noch ein Paar. Das ständige Auf und Ab in unserer Ehe hat uns erstaunlicher Weise immer fester zusammengeschweißt.

Wir wollten auch Kinder, aber auf Grund einer Operation meiner Frau blieb uns dieser Wunsch verwehrt. Mit Kinder hätte sich mein Lebensweg vielleicht auch anders entwickelt.

Meine Ehefrau bemerkte von meinem Wunsch nach einer anderen Identität nichts. Bislang befand ich mich so fast in der Illegalität und konnte in der Gesellschaft und wohl auch zu diesem Zeitpunkt von meiner Frau dafür noch kaum Verständnis erwarten, in einer weiblichen Identität leben zu wollen. 

Beruflich änderte sich bei mir bis zur politischen Wende nicht viel, außer dass ich mehrfach auf anderen Baumaschinen eingesetzt wurde und auch als Verstärkung der Stammbesatzung in mehreren Maschinenkomplexen aushalf. Dadurch hatte ich im Laufe der Zeit für eine ganze Anzahl von Maschinen eine Bedienungsberechtigung erworben. Hinzu kam dann noch eine Ausbildung zum Lokführer, erst für Kleinlokomotiven und dann über die Wendezeit für die größeren Lokomotiven der damaligen Baureihen 110 (V 100) und 118 (V 180).

Mit der politischen Wende änderte sich erst mal nichts. Es gab nun alles mögliche zu kaufen, was wir vorher nur aus dem "Westfernsehen" kannten. Supermärkte schossen aus dem Boden und jeder hatte mit sich zu kämpfen, um mit den neuen Verhältnissen klarzukommen. Bei mir gab es mit der Umstellung eigentlich keine großen Probleme. Zuversichtlich in die Zukunft blickend sog ich alles Neue in mich rein. In Magazinen und Broschüren entdeckte ich allerhand, wovon ich allenfalls mal etwas gehört oder im Fernsehen gesehen hatte.

Beruflich gab es keine großen Änderungen, nur dass die Arbeit bei der da noch existierenden Deutschen Reichsbahn immer weniger wurde. Da kam mir zugute, dass ich auf den modernsten Maschinen der DR eingesetzt war. So wurde ich dann auch in die neu gebildete GmbH, in der alle Oberbaubetriebe der Deutschen Reichsbahn integriert wurden, mit übernommen. Zum Leidwesen vieler Kollegen begann hier ein großer Schrumpfungsprozess von dem ich glücklicherweise verschont blieb. So blieb ich weiter, nun bei der Deutschen Bahn, im Bereich Gleisbau tätig.

Mit der neu gewonnenen Reisefreiheit führte der jährliche Urlaub nun auch in Gebiete, die uns zuvor versperrt waren. Nach ein paar mal Urlaub im westlichen Teil Deutschlands und in Österreich ging es dann weiter weg. Ab 1993 waren die Kanaren das Ziel, wo wir dann mehrmals hintereinander alle größeren Inseln kennen lernten. Ostern 1994 hatten wir eine Städtereise nach Paris gemacht. Hie habe ich mir im Disneyland Paris meinen Pluto aus Plüsch gekauft. Dieser Pluto sollte mir später noch sehr viel als Seelentröster beistehen.

Durch meinen Beruf bei der Deutschen Bahn kam ich in Deutschland sehr viel rum und es gab bald nur noch wenige Gegenden, wo ich noch nicht war. Das war natürlich alles sehr interessant und ich habe viel gesehen. Trotzdem folgten auch weitere Urlaubsreisen innerhalb Deutschlands.

So vergingen die Jahre mit einem erfüllten Berufsleben und auch im Freizeitbereich kam keine Langeweile auf. Sie war ausgefüllt mit der Modelleisenbahn und gelegentlichen Ausleben der Träume als Trans*.

Es kam das Jahr 1998, eigentlich ein Jahr wie alle anderen auch. In Quellendorf, einer Gemeinde in Sachsen-Anhalt bekannte sich der dortige Bürgermeister zu seiner Transsexualität und erklärte, dass er bzw. nun sie fortan nur noch als Frau Michaela Lindner leben werde. Das war natürlich ein Medienereignis, was auch in allen Zeitungen stand. Ich hatte die ganze Berichterstattung darüber sehr intensiv verfolgt. Ein Mensch gesteht offiziell den Wunsch, den Weg der Transformation vom Mann zur Frau gehen zu wollen. Aber für was für einen Preis? Frau Lindner wurde als Bürgermeisterin abgewählt und ausgegrenzt. Was könnte mir passieren? Ich habe es nicht gewagt, ich hatte viel zu viel Angst. Angst vor den Konsequenzen in der Gesellschaft und vor allem vor meiner Frau, sie zu verlieren. Ich hatte mich nicht getraut und das Leben ging weiter.  

Mit der Weiterentwicklung der Computer für den Heimgebrauch erschloss sich für mich bald die Welt des Internets. Hier konnte man relativ anonym einkaufen. Der Verkäufer kennt zwar den Namen und Adresse, nicht aber für wen es ist und stellt keine Fragen.

Ich entdeckte sehr ansprechende Frauenmasken aus Schaumlatex, die waren aus der Filmbranche. Solche Masken kann man über längere Zeit fast problemlos tragen. Damit war ich dann schon einige Jahre vor meinem Coming-out oft in weiblicher Bekleidung in Wald und Flur unterwegs. So konnte ich mir sicher sein, da erkennt dich eh' keiner, denn ich hatte noch immer eine höllische Angst, doch irgendwie mal erkannt zu werden. Einigen Leuten bin ich so auch begegnet. Ob sie irgendwas bemerkt hatten?

Die ganzen Jahre war ich fest verwurzelt im Brandenburger Modellbahn-Freunde e.V., dem ich seit 1971 angehörte und dessen Vorsitz ich ab 1984 übernommen hatte. Ihm widmete ich fast meine ganze Freizeit. Über die Jahre war der Verein mein Leben. Ich hatte ihn sicher durch die Wende gebracht und die weitere Grundlage war solide. Die letzten Jahre, bevor ich den Vereinsvorsitz aufgab, waren für mich wegen der beruflichen Inanspruchnahme eher eine Quälerei. Es wurde für mich immer schlimmer, alles unter einen Hut zu kriegen. Ich stürzte in eine größere Krise. Meiner Frau erklärte ich, dass ich ein Identitätsproblem hätte, wusste aber nicht so richtig, womit das zusammenhängen könnte. Vermehrt gesundheitliche Probleme verschiedener Art häuften sich, ohne dass eine genaue Ursache festzustellen und ich dann der Meinung war, dass ich vielleicht doch ruhiger treten sollte. Nachdem ich mich mehr aus dem aktiven Vereinsleben zurückgezogen hatte, bin ich meinem wahren ICH, meiner wirklichen Identität immer näher gekommen. Nach meinem Coming-out sind viele Krankheiten nicht mehr aufgetreten, also müssen sie psychosomatischer Natur gewesen sein.

Gegen Ende 2006 traute ich mich langsam auch im innerstädtischen Bereich in die Öffentlichkeit auf Straßen, erst in der Dämmerung, dann auch am Tage, aber immer auf Distanz zu den Passanten. Hier waren Premnitz, Rathenow und Genthin meine "Teststrecken". Da meine Lieblingsmaske täuschend echt aussah, hat kaum einer von mir Notiz genommen. Begeistert und überrascht zugleich von dem Erfolg kam mir die Karnevalszeit zupass.

An Bekleidung und Accessoires hatte ich ja nun schon einiges beschafft. Ich wollte mit meiner Frau zu einer Karnevalsparty. Schon in den beiden Jahren davor sollte eigentlich diese Gelegenheit genutzt werden, aber da traute ich mich jeweils noch nicht, mich zu outen. Nachdem ich mich zu Hause zurecht gemacht hatte, stellte ich mich nun als Harumi meiner Frau vor.

 

(weiter im Teil 2)

   

Einige Bilder hier können auch vergrößert werden, einfach nur anklicken

Harumi Michelle

   

weiter zu Teil 2

© H. M. Waßerroth